Günter Grass schrieb ein Gedicht. Und auch wenn ich, trotz anfänglicher Abneigung gegen den Stil, einige seiner Bücher schätzen gelernt habe, litararisch kann ich mit diesem nichts anfangen. Das mag, mangels Sachverstand, an mir liegen.
Aber an diesem Punkt endet meine Kritik, und trotz Details, über die man füglich diskutieren könnte, kann ich für den Inhalt und den Mut, dieses zu veröffentlichen, nur danken. Mut? Ja, denn wie man an der seit Mittwoch laufenden, zum Teil unsäglichen Diskussion allerorten sieht, bedarf es des Mutes, Israel in Deutschland hart zu kritisieren. Viel einfacher und sicherer ist es, Israel in Nibelungentreue beizustehen, egal, ob man Publizist, Literat, Kanzlerin oder einfacher Blogger ist.
Israel hat seit Jahren Atombomben. Sanktionslos. Iran ist noch am Bau der Atomkraftwerke – und wird ständig weiter in die Enge getrieben, noch dazu von Israel – und nicht nur von Israel – mit Krieg bedroht. Deutschland, das eigentlich keine Waffen in Krisengebiete liefern darf, verkauft (subvenitoniert) ein weiteres U-Boot an Israel, mit dem man Iran noch besser angreifen könnte. Aber wer das kritisiert, ist dann ein Antisemit.
Was jedoch, von der typisch deutschen Debatte ganz abgesehen, Grass noch mehr rechtfertigt, ist die Reaktion der israelischen Regierung: wüste Beschimpfungen, Einreiseverbot und nun die – mit Verlaub gesagt, dämliche – Forderung, ihm den Nobelpreis abzuerkennen. Dafür fielen mir ein paar geeignetere Kandidaten ein.
Der Verweis darauf, dass Grass als 17-jähriger bei der Waffen-SS gedient habe, mit dem Ziel, ihn als Alt-Nazi darzustellen, ist historisch blödsinnig, unehrlich – und wer das tut, sollte sich mit der Lebensgeschichte und dem Handeln seiner Kritiker befassen, vor allem den vor Wut schäumenden israelischen Ministern. Die haben alle mehr Menschenleben (von Zivilisten) auf dem Gewissen als Grass haben könnte – und sie waren dafür auch wirklich verantwortlich. Im Gegensatz zu einem 15-jährigen, der zuerst zur Flak geschickt und dann eine Waffe in die Hand gedrückt bekam.
Vollends ekelhaft wird es aber, wenn dann ein Broder nicht nur über Grass Gedicht eines seiner Hass-Pamphlete schreibt, sondern dann diejenigen verunglimpft, die Grass Recht geben. Wo bleibt der Aufschrei, wenn er o etwas schreibt? Gut, man kann Broder einfach als nicht ernst zu nehmen abhaken, was ich für gewöhnlich auch tue. Aber das hier ist wirklich zu viel.
Vernünftigere Reaktionen und Kritik las ich in der – in Deutschland meist nicht beachteten – israelischen Presse und Bloggerszene. Vor allem Gideon Levys Artikel sollte sich mancher in Deutschland gut durchlesen – Zitat:
Some years ago, after a critical article of mine was published in the German daily Die Welt, one of its editors told me: „No journalist of ours could write an article like that.“ I was never again invited to write for that paper. For years, any journalist who joined the huge German media outlet Axel Springer had to sign a pledge never to write anything that casts aspersions on Israel’s right to exist. That is an unhealthy situation that ended with an eruption of exaggerated criticism like Grass‘.
Grass is not alone. No less of a major figure, the great author Jose de Sousa Saramago opened the floodgates in his later years when, after a visit to the occupied territories, he compared what was going on there to Auschwitz. Like Grass, Saramago went too far, but his remarks about the Israelis should have been heeded: „Living under the shadow of the Holocaust and expecting forgiveness for everything they will do in the name of their suffering seems coarse. They have learned nothing from the suffering of their parents and their grandparents.“
After we denounce the exaggeration, after we shake off the unjustified part of the charge, we must listen to these great people. They are not anti-Semites, they are expressing the opinion of many people. Instead of accusing them we should consider what we did that led them to express it..
Aber Broder köpft lieber den Boten.
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